Das Marmor-Relief aus der Villa Rugen
1861 wurde die Villa der Familie von Rappard am Südhang des Kleinen Rugen errichtet. 5 Das Gebäude im Stil eines gründerzeitlichen Landhauses bot während der Sommermonate Refugium. Clara von Rappard zeichnete täglich, spielte Klavier, ging spazieren, las Romane, Sachbücher und Tageszeitungen und stattete Besuche ab. Die Räume erhielten eine antikisierte Möblierung. 1883 gestalteten Mutter und Tochter den Salon, das Wohn- und Schreibzimmer massgeblich um. Sie bemalten die Wände mit ihren Reisemotiven. Das Erkerzimmer im Turm wurde mit orientalischen Stoffen ausgekleidet und mit Kopien antiker Reliefs dekoriert.
Ab 1896 mussten Albertine und Clara von Rappard Teile der Villa an Pensionsgäste vermieten. Nach dem Tod der beiden bewohnten Verwandte das Haus, 1944 ging die Villa an den Kanton Bern. In den 1960er Jahren fiel sie dem Abriss zum Opfer.
Clara von Rappard und Heinrich Gerhard
Die Villa am Rugen war vor allem im Sommer der feste Wohnsitz der Familie von Rappard, während man den Winter meist in Deutschland und Italien oder unterwegs auf Bildungsreise verbrachte. Weil Frauen damals nicht zu den Kunstakademien zugelassen waren, erhielt Clara von Rappard Privatunterricht bei unterschiedlichen Künstlern. Einer ihrer ersten Lehrer war der deutsche Maler Heinrich Dreber in Rom, bei dem sie als junges Mädchen regelmässig Zeichenunterricht nahm. Durch ihn lernte sie im November 1871 in Rom auch den Bildhauer Heinrich Gerhard (1823–1915) kennen, den Schöpfer unseres Reliefs. Der aus Kassel stammende Gerhard lebte seit 1844 in Rom und gehörte wie Dreber zu den sogenannten Deutsch-Römern. Heinrich Gerhard besuchte die Villa Rappard im Sommer 1872, was Clara von Rappard in ihrem Tagebuch festhielt. Dabei erfahren wir auch etwas über die Figur auf dem Relief:
«Auch Frau Clara Schumann kam öfter und lud uns noch vor ihrer Abreise ein, um uns vorzuspielen. Professor Gerhard, der Bildhauer aus Rom, besuchte uns auch. Er ist so ein gemütliches altes Haus und wir freuten uns sehr, ihn wiederzusehen. Er hat doch das Relief von Tante Sophie gemacht – im Erker – nach einer Photographie eines lebenden Bildes, wo sie als «Leonore» den «Tasso» krönt. Auf den Lorbeerkranz lege ich täglich frische Rosen und wilde Weinranken. Es ist doch ein wundervolles Werk, was Gerhard da geschaffen hat und ganz ihre Erscheinung. Ich habe hinter ihr, wo sie schreitet, den Marmor blau wie das Meer gemacht (...) Auf unserem Hügel haben wir ihr einen Granitstein zum Andenken errichtet (...) Während Gerhards Aufenthalt hielt sich die verwitwete Königin Elisabeth von Preussen im Jungfraublick auf. Gerhard kannte sie auch und sie kam öfters zu uns, d.h. sie liess sich tragen.»
Tagebuchabschrift C.v.R. im KMB